Abenteuer. Leben und Reisen in Ungewissheit

für Hubert + 4. September 2022

Es ist Freitag, der 26. August, 12 Uhr mittags. Ich bin mit meiner Nicole Katharina im Flugzeug nach Athen. Von dort aus wollen wir weiter mit der Fähre ab Piräus nach Lesvos. Ich schaue hinunter auf das Wolkenmeer, sehe, wie wir die Alpen überqueren, diesen mächtigen Grenzwall mitten in Europa.

Keine große Sache?

Bei der großen Flüchtlingswelle 2015 sind hier am Strand von Eftalou, wo die Entfernung zur Türkischen Küste nur 12km beträgt, Tausende Menschen gestrandet – viele auch ertrunken. – Alle Fotos: privat.

Seit geraumer Zeit hat sich für die reicheren Europäer die Vorstellung verbreitet, dass solches Reisen heute ja „keine große Sache“ mehr sei. Ein Flug nach Athen? Eine Woche Urlaub auf einer griechischen Insel? Kann man mal machen. Nichts Spektakuläres also? Keine große Sache? Oh doch. Für mich ist das sehr wohl eine „große Sache“: Du setzt dich in ein Düsenflugzeug, hebst ab in die Luft und wirst in zwei Stunden von München nach Athen gebracht. Suchst einen Bus, der dich nach Piräus bringt, diesen mächtigen Hafen, der schon seit Jahrtausenden Menschen auf die verschiedensten Inseln und Festlande bringt. Besteigst ein haushohes Fährschiff, das unzählige LKWs und Autos auf mehreren Decks verschluckt und 12h lang, durch die Nacht durch und in den Sonnenaufgang hinein durch die südliche Ägäis kreuzt. Für mich ist das ein Abenteuer. Erst recht in einer Zeit, wo zuvor nicht vorstellbare Regelungen die Einreise vereiteln können, Flüge von heute auf morgen gecancelt werden und die Preise explodieren. Wer weiß, was morgen ist? Nächstes Jahr? Ob so etwas überhaupt so bald noch oder wieder möglich ist?

Ankommen und hinterherkommen

Doch nicht nur deshalb ist für mich solches Reisen eine wahrhaft „große Sache“. Die durch einen Flug etwa so krass verkürzte Reisezeit macht die Geist-Seele, unser mind & heart in der Regel nicht mit. Wir brauchen ein paar Tage, um „hinterher“ zu kommen. Mit unserem Kopf und unserem Herzen dort anzukommen, wo der Körper schon ist. Wir erleben, wie uns allein die Fährfahrt hilft, die Nacht durch auf dem Schiff und der grandiose Sonnenaufgang in der Früh auf dem Meer, die zwei Stunden, wo wir – so ist die Empfindung auf einem Schiff, selbst wenn sich die Fähre „superfast“ nennt – behutsamer anzukommen.

Nicole Katharina schaut auf die aufgehende Sonne während der Fährfahrt durch die südliche Ägais von Piräus zur Insel Lesvos.

Eine Insel, eine neue Welt

Von weitem taucht im Morgenlicht irgendwann die Insel Lesvos auf, Schritt für Schritt kommen wir näher; wir sehen die Küste auftauchen, das Hafengelände, den Hafen. Und irgendwie fühle ich mich ein ganz kleines Bisschen wie Charles Darwin, Christopher Columbus oder mein zeitgenössischer Lieblingsabenteurer Erling Kagge. Wir haben die Nacht irgendwo zwischen den Sitzen auf dem blanken Boden und ohne Decke (wir sind nur mit Handgepäck am Weg) zugebracht und viel Schlaf war nicht dabei. Aber wir sind gespannt und neugierig, was uns auf der Insel erwartet. Wir fühlen uns erfrischt von der Luft auf dem Außendeck des Schiffs; von der internationalen Atmosphäre der Menschen, der Sprachen; und vom Anblick der Insel und nach einer Taxifahrt auch vom (uns vom letzten Jahr vertrauten) wunderschönen „Milelia Inselgarten“*, von all den Bildern, die unsere Augen und von den Erinnerungen, die unser Herz erreichen.

Dem Charme des Milelia-Inselgartens, einmal erlebt, kann man sich nicht mehr entziehen.

Abenteuerreise

Reisen ist für mich immer Abenteuer. Vielleicht spüre ich hier immer diese in uns abgespeicherte, über Zehntausende von Jahren eingeprägte Energie, als Nomaden unterwegs zu sein. Es scheint mir so etwas wie die Er-innerung zu sein, dass unser ganzes Leben einer Reise gleicht. Gerade die letzten sieben Jahre meiner Lebensreise sind ein ungeheuerliches Abenteuer.

Die Insel Lesvos ist in ihrem Schmerz und in ihrer Schönheit voll Melancholie und Heil-Kraft zugleich.

Der Weg entsteht unter unseren Füßen

Seit einiger Zeit begleitet mich die Karte einer Freundin mit dem Spruch: „Der Weg entsteht unter unseren Füßen.“ Das gilt besonders für unseren Lebensweg. Der Weg entsteht – erst – durch unser Gehen. Indem wir Schritte tun. Unseren Fuß bzw. uns selbst (er-)heben (lifting), den Fuß bzw. uns selbst bewegen (moving) und den Fuß bzw. uns wieder absetzen (placing). Um uns von neuem zu erheben, zu bewegen und von neuem (abzu)setzen. Wir gehen Schritte, halten inne, verweilen hier oder dort für kurz oder länger. Und wir ziehen weiter.

Nicole Katharina (Bildmitte) im Gespräch innehaltend mit ihrer Ausbilderin Eva (links) und Marion (rechts), der Partnerin des Inselgarten-Besitzers Florian.

Unser Leben ist Veränderung

Unser Leben ist eine Abenteuerreise. Wir treffen auf Menschen und Orte. Gehen durch Wüsten, kommen in Oasen. Wo können wir bleiben? Diese Fragen stellen wir uns aktuell wieder sehr konkret. Dazu kommt auch im Außen die Unsicherheit. Wie (dramatisch) wird die wirtschaftliche Lage in den kommenden Monaten? Nächstes Jahr? Wie sehr ist – neben dem Lebensunterhalt – auch unsere Freiheit oder unsere Demokratie in Gefahr? Die letzten Jahre haben uns alle auch in den Rahmenbedingungen wieder spüren lassen, dass wir auf einer Abenteuerreise des Lebens sind. Nichts bleibt für immer, wie es ist. Im Gegenteil: Nichts ist beständiger als die Veränderung(en) im Leben.

Ein Spiel zwischen Chaos und Kosmos

Warum wir Yoga üben. Einer der Impulse unserer Ausbilderin bzw. Lehrerin Eva Bomhard.

Chaos und Kosmos (‚Ordnung‘) sind in einem immerwährenden Spiel. Da ist es gut, zu wissen, wie Verbindung und Verbundenheit immer wieder neu hergestellt werden kann. Wie wir aus der oft chaotischen Verwirrung in unseren Gedanken und in unserem Herzen uns wieder einsammeln können und weitergehen können.

Immer wieder andere Wege einschlagen

In der Nähe des Retreat-Ortes wurde ein Grundstück in neue Hände übergeben. Wir durften in diesem Zusammenhang an einem wundervollen Ritual teilnehmen, das voll Demut dem Stück Erde und seinen Vorbesitzern gegenüber war und gleichzeitig voll kraftvoller Energie im Fokus auf seine neue Bestimmung.

Bis gestern hatten wir noch keinen Plan für die Rückreise. Hatten weder einen Rückflug noch eine Fähre oder dergleichen gebucht. Haben uns „alles offengelassen“. Das kann auch Stress erzeugen. Wenn die letzten Flüge sich im Preis innerhalb von zwei Stunden verdoppeln. Wir haben das Ziel von München auf Prag verändert. Plötzlich ist alles anders, geht alles leichter. Wir kehren einfach auf einem anderen Weg wieder zurück. Nach einer intensiven Yoga-Retreat-Woche gilt das im Geist und im Herzen sowieso. Wir kehren verändert, anders zurück. Beziehungsweise begeben uns auf einen neuen Abschnitt unserer Abenteuerreise. Und da spüre ich: Ich liebe Abenteuer. Die Heldenreise, die ein jedes Menschenleben ist. Von der Geburt bis zum Tod. Und darüber hinaus.

Blick auf den Lagerfeuerplatz auf unserem Retreat-Ort, das Gut Hötzing. – Foto: Samuel Heitzer

Wir, Christian Heitzer-Balej und Nicole Katharina Balej von cordat herzensbildung, haben für uns und unsere eigene Arbeit Kraft und Inspiration aus diesem Retreat bei unserer Lehrerin Eva Bomhard (www.yama-mangfall.de) geschöpft. Von 3. bis 5. Oktober bieten wir mit einer Auszeit auf dem wundervollen Gut Hötzing anderen die Möglichkeit zum „Retreat“: sich zurückziehen, innehalten, Kräfte sammeln und sich inspirieren lassen. Von Übungen aus dem Yoga, Meditation und Impulsen zu einem beherzten Leben. Alle Infos auf unserer Homepage www.cordat.org. Wir freuen uns auf eine Begegnung von Herzen!

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* siehe hierzu auch die beiden Blogbeiträge „MILELIA. Schönheit und jede Menge Mut“ und „Und dann meine Seele sei weit, sei weit!“ aus dem letzten Jahr!

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