In der Zwischenzeit

Eigentlich liebe ich die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr. Da ist irgendwie alles auf Pause. Es ist wie eine Extra-Jahreszeit, nicht mehr so recht das alte Jahr und das neue noch nicht. Nachspielzeit. Doch dieses Mal ist es irgendwie anders.

Weihnachtshochwasser. – Die Fotos dieses Beitrags, wenn nicht anders gekennzeichnet: Samuel Heitzer.

Wetter und andere Leiden

Schon das Wetter der Tage um Weihnachten machte mich ganz kirre: Sturm, Regen bis zum Hochwasser und milde Temperaturen. Ich lass mir schon was eingehen zu Weihnachten, kein Schnee zum Beispiel, auch wenn ich den jedes Jahr wirklich vermisse. Aber dieses Wetter schlägt dem Fass den Boden aus. Ich weiß, dass mein Klagen nichts hilft und was soll das überhaupt? Doch allein an meinem Leiden an dem Wetter – natürlich weiß ich, dass es ganz andere Sachen und Anliegen wie den Unfrieden in der Welt gäbe, an denen zu leiden es „angemessener“ wäre – erkenne ich, dass ich nicht entspannt bin, dass mir die Ruhe fehlt. In mir selbst und darum mit allem um mich herum.

Resting in not-knowing

Viel von dieser Unruhe ist der Tatsache geschuldet, dass mein ganzes Leben in einem ähnlichen Status ist wie diese Zwischenzeit, die Zeit zwischen den Jahren. Altes ist nicht mehr bzw. geht zu Ende und das Neue ist noch nicht sichtbar. Seit längerem schon arbeitet die Formulierung einer Haltung in mir, die Jon Kabat-Zinn in den wirren Jahren um das doppelte C vorgeschlagen hat: Resting in not-knowing. Der Versuch‚ im Nichtwissen zu ruhen‘. Eine schöne Idee und natürlich leichter gesagt als getan.

Up in flames

Ich habe das in meinem Leben schon einmal erlebt, damals noch viel weitreichender. Es ist, als würde gerade etwas in meinem Leben in Flammen aufgehen. „Up in flames“ ist das passende Lied von coldplay dazu. Bisher habe ich das Feuer immer als eine positive Kraft in mir selbst, in meiner Frau und anderen Menschen erlebt, Menschen, die für eine Sache brennen. Begeistert sind, voll Leidenschaft ihrem Herzen folgen. Doch natürlich ist Feuer auch eine unbändige Kraft. Richtet bisweilen Zerstörung und Verwüstung an – und ist letztlich Medium der Transformation.

Ich will alles

Ich versuche mich gerade mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass es für die eigene Entwicklung, für mein Leben vielleicht sinnvoll sein kann, dass meine Hütte, sprich ‚mein Gedankengebäude‘ niederbrennt. Ein Freund hat mir kürzlich ein Gedicht von Thich Nhat Hanh gezeigt, das diese Idee auf drastische Weise ausführt:

Heute Morgen kam mein Bruder zurück nach langem Abenteuer. Da kniete er vor dem Altar, Tränen in den Augen. Seine Seele hält nach einer Küste Ausschau, will endlich vor Anker gehen (eine Sehnsucht, die ich selbst einst kannte). Lass ihn nur dort knien und weinen. Er soll sich nur die Seele aus dem Leib schluchzen. Gegönnt sei ihm Zuflucht für tausend Jahre – Zeit genug, alle Tränen zu trocknen. Eines Tages aber werde ich kommen und sein Obdach in Brand setzen, diese kleine Hütte am Berg. Mein Feuer wird alles zerstören (…) In äußerster Seelennot wird seine Schale aufbrechen. Der Feuerschein der brennenden Hütte wird seine glorreiche Befreiung bezeugen. Ich aber warte auf ihn neben der brennenden Hütte, während mir die Tränen über die Wangen laufen. Dort will ich stehen und sein neues Dasein betrachten. Und während ich seine Hand in der meinen halte, frage ich ihn, wie viel er will. Er antwortet mir mit einem Lächeln: Alles! – so wie einst ich.

Thich Nhat Hanh, gefunden in Moment by moment, Ausgabe 04 | Winter 2023/24, Neustart, Urula Richard, S. 12

Das Gedicht von TNH aus dem Jahre 1954 hat mich anfangs ordentlich verstört. Auch deshalb, weil ich erst wenige Stunden bevor ich es zu lesen bekam das Drama des Vollbrandes eines Gebäudes mitten in der Nacht aus nächster Nähe miterlebt hatte. Doch es gibt keine Zufälle, das Leben hat uns in so einem Moment immer etwas zu sagen. So auch dieses Gedicht.

In dieser Sekunde ploppen in meinem Handy andere Worte auf, die etwas leichter zu nehmen sind:

Redirection

Anything that is meant for you, / Alles, was für dich gedacht ist,

Will naturally find its way into your life. / wird auf natürliche Weise seinen Weg in dein Leben finden.

Anything that is not meant for you, / Alles, was nicht für dich gedacht ist,

Will find a way to leave. / wird einen Weg finden, dich zu verlassen.

Let things come and go and trust / Lass die Dinge kommen und gehen und vertraue

That every redirection is leading you /dass jede Umlenkung dich führt

To something better. / zu etwas Besserem.

(gefunden in einem Reel von @thegrowglowclub, 28.12.2023

Neuanfang?

Die Formulierung bzw. das Wort vom „Neuanfang“ ist eigentlich eine Illusion. Wir fangen in diesem Leben nie wirklich neu an. Wir sortieren vielleicht neu oder um. Wir starten wieder einmal. Doch das Alte ist ja nie wirklich weg. Wir bauen immer auf Altem. Selbst wenn wir alles zurücklassen und auswandern und irgendwo „ein völlig neues Leben“ aufbauen: Wir haben mindestens uns selbst mitgenommen. Wenn deine Hütte niederbrennt und so etwas wie dein Leben, wie in dem Gedicht von Thich Nhat Hanh, dann ist ordentlich Potenzial, sich und sein Leben neu aufzustellen.

Was macht mich froh?

Wir befinden uns gerade mitten in Umzugsvorbereitungen. Dabei wissen wir noch nicht mal genau, wo es hingeht. Wir wissen bisher nur: Von hier weg. Natürlich ist es gut, weil reinigend und erleichternd, Dinge loszulassen. Einmal wieder richtig auszumisten. Sich zu fragen: Was kann weg? Oder besser noch nach Marie Kondo: Was darf  b l e i b e n , weil es mich  f r o h  macht?

Zu fragen, was darf bleiben, weil es mich froh macht, ist eine echte Umzugshilfe und verhindert, dass man Dinge nicht in die nächste Wohnung verschleppt, die eher traurige Energie befördern. – Foto: Christian Heitzer-Balej.

Hör nie auf

Es ist also gut, in der Zwischenzeit mal aufzuräumen. Auch sein Leben. Was kann weg, was macht mich froh? Doch ich spüre, wie auch der hier anklopft: Komm, lass gut sein. Du hast es schon so oft neu versucht. Gib dich mit „passt schon“ zufrieden. Lass die Träume, sie kosten nur Energie und du verschwendest deine Zeit. Da hat mir die Tage der Werner Schmidbauer noch auf Bayerisch ein Lied ins Herz gesungen, das auf zwei Zeilen hinauslaufen, die dem alten Cicero zugschrieben werden:

Doch du sogst, du host koan Traum mehr, du fuist di sterbads oid und der Mensch geht eh boid zgrund, weil de Erdn braucht uns nimmer. Und du frogst di, wo in dera Zeit dei Plotz is, dir is furchtbar koid. Hey bitte gib ned auf, weil ohne di werds schlimmer.

Fang nia o aufzuhören und / Fang nie an aufzuhören

Hör nia auf ozumfanga! / Hör nie auf anzufangen!

Werner Schmidbauer

Ganz unerwartet zeigte sich mir auf dem Weg zur Müllverladestelle dieser Regenbogen – ich hatte noch keinen Regentropfen gespürt. – Foto: Christian Heitzer-Balej.

Was bei cordat herzensbildung im neuen Jahr beginnt, ist unsere Weiterbildung TOOLBOX ACHTSAMKEIT. Am 10./11. Februar starten wir mit dem ersten von sechs Modulen. Worum geht es? Achtsamkeit verstehen und praktizieren lernen; Resilienz einüben, Herzensbildung, Empathie und achtsame Kommunikation. Für eine bewusste und hellwache Haltung im privaten und beruflichen Alltag. Alle Infos auf www.cordat.org bzw. direkt über diesen Link. Wir freuen uns auf eine Begegnung von Herzen! 

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