Neues Licht. Neues Leben

für Steve

Es ist der Abend, an dem es um Leben oder Tod geht. Ich gehe nach Westen. Zur alten Eiche vor dem Gut. Dem letzten Tageslicht entgegen. Langsamen Schrittes gehe ich auf diesen tausendjährigen Baum zu. Der selbst im Winter und in seinem hohen Alter unglaubliche Kraft verkörpert.

Power to you

Ich rufe dieser Eiche zu, sie möge von seiner Kraft abgeben dem 54jährigen. Ein Leichtes sollte es für sie sein, ihn zu stützen. „Power to you“ flüstere ich ihm unablässig zu. In alle Richtungen streckt sie ihre mächtigen Äste aus. Ein Monument. Ein lebendiges. Ein Baum wie ein Achttausender von einem Berg.

Zeremonie des Lebens

„May your heart be strong, Brother!”, ist das zweite Mantra, das in mir tönt. Ich glaube der Kraft der Verbundenheit, in die wir Menschen gehen können. Wir brauchen es nur zu wollen. Wir gießen Kraft in die Brunnen der Tiefe, die alle Menschen, ja alle Wesen miteinander verbinden. Ich hebe selbst meine Arme und versuche, in die Frequenz dieses mächtigen Baums zu kommen. In diesem Sein entfaltet sich eine schier magische Zeremonie.

Die Kraft der Verbundenheit

Es sind viele Menschen, die – jede*r auf andere Weise – in diesen Stunden sich an ihren Kraftort begeben oder ein Gebet, ein Ritual finden, „an ihn denken“. Familie, Freunde. Verbundenheit wirkt. Natürlich können wir den großen Geist nicht zwingen. Und doch ist „die Liebe die größte Kraft im Universum“ (Albert Einstein).

Möge sein Herz stark sein

Es kann sein, dass ich in dieser Nacht meinen Bruder verliere. Als Weggefährten seit der Stunde null, da wir in einem Bauch heranwuchsen. Wir alle ringen um die Verbindung zu ihm. Ich bitte um Kraft. Darum, dass sein Herz stark bleibe, um ihn am Leben zu erhalten. 

Neues Licht

Es bleibt stabil in der Nacht. Am Horizont des neuen Tages steht neues Licht. Man will versuchen, ihn aufzuwecken. Keiner weiß, ob es gelingt und in welchem Zustand er sein wird. Alles ist möglich… Wir bekommen ihn nochmal zurück. Unsere Erleichterung ist unermesslich, unsere Dankbarkeit unendlich.

Achte auf was du sagst

Keine 48h vor dem Infarkt – wir waren gemeinsam zu einem Konzert von Dhafer Youssef in München – hatte er mir noch gesagt: „Diese Musik hab ich noch gebraucht. Jetzt könnt ich gehen…“

Der fantastische Dhafer Youssef mit seinem Instrument, der Oud einer Kurzhalslaute aus dem Vorderen Orient. – Quelle: https://dhaferyoussef.com/biography-part1/

Ich habe mich sofort daran erinnert, als ich die schockierende Nachricht von seinem Infarkt bekam. Und nun, da ich ihn auf der Intensivstation treffe und wie durch ein Wunder schon wieder mit ihm reden kann, ist es eine der ersten Dinge, die er selbst erinnert: „Weißt du noch, was ich am Samstag zu dir gesagt hatte?“ „Ja, ich weiß es. So ernst hättest du das nicht nehmen brauchen!“, antworte ich ihm. Mind your words! Achte auf was du sagst!

Bleibe bei uns!

Wir wollten noch nicht auf dich verzichten, Bruder! Viel zu viel hast du noch zu geben. Bleib noch bei uns und beschenke uns mit deinem Lied: einem Lied der Stille, der Mystik, der Verbundenheit, der Liebe – zum Moment, zum Leben und zueinander!

Die Serles (links) und der Habicht (rechts), zwei weitere Wächter des Lebens in Steves unmittelbarer Umgebung.

Infusion der Liebe

Wir haben das Schicksal gebogen. Das Universum überzeugt. Wir haben das Netz zusammengehalten. Du solltest noch nicht fallen. Wir haben unsere Kräfte vereint und das Band der Liebe um dein Leben geschlungen. Wer nicht Hand angelegt hat – oh, welch großer Respekt gilt ihnen! – hat dich und dein Leben in Stille gehalten. Im Gebet. Im Licht. An der Hand. In Gedanken. Im Herzen. Wir haben das Feld groß gemacht. Als „ein Bollwerk an Liebe, Netzwerk, Gebet und Mitgefühl“ hast du es diese Tage in einem eigenen Beitrag beschrieben, „das mich Stunde um Stunde und Tag um Tag wie eine gigantische Infusion mit Kraft und Energie versorgte.“ 

„Lass das Feuer im Ofen deines Lebens noch nicht ausgehen!“, das war das Lied derer um meinen Bruder herum.

Sing dein Lied weiter!

Vielleicht haben wir mehr u n s  selbst damit einen Gefallen getan. Wir haben noch nicht genug von dir. Deine Mission ist noch nicht zu Ende. Es sind so viele, die dein Lied noch mit dir singen wollen; die lernen wollen von dir; die beten wollen mit dir; die spielen wollen mit dir; die lachen und weinen und stille sein wollen mit dir.

Mein Bruder, mein Sohn und ich (von rechts nach links). Das Bild entstand auf einem ersten gemeinsamen Spaziergang nach den Tagen in der Klinik vor Steves Haustür, in seinem geliebtem „Viller Moor“.

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