„Derf i scho reikumma?“, fragt die 86jährige Schwester, als sie nach dem Mittagessen für den Leberwickel aufs Zimmer kommt. „Freilich Schwester, kummas no eina!“, sag ich. Schon nachts bzw. morgens zwischen vier und fünf Uhr war sie da mit dem Heusack. Und auch morgen wird sie um diese Zeit kommen für die kalte Oberkörperwaschung. Dieses Tagungshaus und Hotel ist anders. Es ist ein Hotel im Kloster. Ein Hotel mit allem Komfort. Und ein Kloster, das der „Wasserdoktor“ und Pfarrer Sebastian Kneipp zur Mitte des 19. Jahrhunderts groß gemacht hat. Sein Geist weht hier weiter und schafft auch für mich und meine Gruppe eine sehr besondere Atmosphäre. Durch diese Anwendungen kommt jede*r schon über die körperlichen Empfindungen sehr konkret zu sich.

Das Erste Wirkende ist dein Sein
Ich bin mit Führungskräften hier. Ich zitiere Romano Guardini, ein großer Theologe und Pädagoge des letzten Jahrhunderts: „Das Erste Wirkende ist das Sein (des Erziehers), dann das, was er tut, und zuletzt erst das, was er sagt.“ Das gilt nicht nur für pädagogische Fachkräfte. Es gilt auch für Führungskräfte. Und letztlich für alle Menschen. „Insofern“, sage ich weiter, „ist dieses Seminar eine Investition in euer Sein“. Diese Tage sind eine Gelegenheit, in Kontakt mit sich zu kommen. Sich zu spüren. In Verbindung zu gehen. Sich seiner selbst bewusst zu werden: Wie und wer bin ich? Diese Führungskräfte wissen, was sie tun. Und wie sie es tun. Und auch was und wie sie es sagen. Hierin sind sie gut geschult. Sie stecken unablässig in Meetings, treffen Entscheidungen und arbeiten ab. Sie sind Macher. Doch wo bleiben sie selbst? Hier können sie einmal innehalten. Aus dem Hamsterrad treten. Und ankommen. Im Hier und Jetzt und bei sich selbst. Sie können sich in Präsenz üben.

Das hier ist anders
„Ich bin so froh, hier nicht die X-te Fachfortbildung zu besuchen und auch kein Coaching im klassischen Sinn zu bekommen. Das hier ist anders. Und genau das hab ich gebraucht“, so eine Teilnehmerin schon am ersten Tag. Als wir uns am 4. Tag verabschieden, bekräftigt sie es noch einmal: „Ich bin so froh, dass ich hierhergekommen bin!“ Ihr Kollege meint, er habe hier erkannt, wie wertvoll eine gut Selbstwahrnehmung ist und dass er auch mal für sich sorgen darf. Ein anderer meint, er habe umgekehrt gespürt, dass er sich viel zu ernst nehme. Die Verantwortung kann auch mal bei den anderen gelassen werden: „Der Laden bricht nicht zusammen, wenn ich drei Tage nicht da bin.“
Spürbare Präsenz
Sr. Johanna hat Ausstrahlung. Das sagen alle, die sie kennen lernen. Ihre Präsenz ist geradezu körperlich spürbar. Und das nicht nur, wenn sie einen ganz konkret berührt. Auf den Gängen, im Speisesaal, wo immer man sie trifft. Wenn sie etwas tut, etwa wenn sie den Heusack ins Zimmer bringt und ihn dir in den Nacken, den Rücken oder auf den Bauch legt, wenn sie dich abrubbelt mit einem richtig kalten Tuch und dich danach einwickelt in deinem Bett wie ein Kind, dann geht sie nicht nur selbst darin ganz auf. Ihre Präsenz und Energie landet 1:1 bei dir. Die von der Waschung kalte Haut wird im Nu heiß wie eine Heizung und du schläfst weiter wie ein Baby.

Unverdientes Geschenk?
Meine Partnerin war kürzlich mit einer Gruppe von Mitarbeiter*innen hier. Darunter ein junger Familienvater, für den das klösterliche Setting hier ungewohnt war und der bezüglich allem Religiösen eher auf Distanz geht. Just ihn hat Sr. Johanna mit ihrer Art aber am tiefsten berührt. Sie hat ihn auf dem Flur angesprochen und ihm ein Medaillon geschenkt. Als sie erfuhr, dass er Frau und Kind hat, hat sie ihm bei der nächsten frühmorgendlichen Anwendung auch noch für die beiden etwas mitgebracht. Den jungen Mann hat diese Begegnung geradezu überwältigt. Er wusste nicht, wie ihm geschieht – und warum gerade er von ihr mit Geschenken bedacht wurde. Eine Kollegin von ihm, die unter anderem genau wegen dieses religiösen Settings hier war, hätte es doch viel mehr „verdient gehabt“… Theologisch spricht man bei „unverdienten Geschenken“ von Gnade. Ja, Sr. Johanna hat diese Anbindung „nach oben“. Ihr Herz ist offen für das Göttliche. Sie weiß sich dem zuzuwenden, der solche Zuwendung vielleicht am meisten braucht. Und nicht dem, der es sich verdient hätte. Sr. Johanna ist präsent. Ganz da. Gleichzeitig im Hier, im Jetzt, bei der Sache, bei ihrem Gegenüber und bei sich selbst. Und darüber hinaus ist sie in der Anbindung nach „oben“.

Präsenz und Ewigkeit
Als Sr. Johanna den Heusack eine halbe Stunde später wieder abholt und aus der Tür hinausgeht, dann nicht ohne ein „Gelobt sei Jesus Christus“. Einen Moment musste ich innehalten, doch dann kam es aus mir heraus: „In Ewigkeit Amen.“ Amen heißt übersetzt ‚so ist es‘. Ja, so ist die Sache mit dem Sein, mit der Präsenz. Und mit der Anbindung. Wer präsent und angebunden ist, ist in seinem Leben angekommen. Und gleichzeitig darüber hinaus verbunden. Er ist hier und beyond, wie dieses schöne und kaum adäquat übersetzbare englische Wort heißt. Wer ganz präsent ist im Moment, ist gleichzeitig ‚jenseits‘ von Zeit und Raum. Also in der Ewigkeit. Amen
Bei unseren Workshops und Auszeiten lässt sich gut Präsenz üben. Infos und Anmeldung zu unseren Angeboten auf http://www.cordat.org. Für Fortbildungen, Seminare, Trainings und Auszeiten in Ihrer Einrichtung oder in Ihrem Unternehmen kontaktieren Sie uns per Mail an herz@cordat.org.