Kompost für den inneren Garten

Vor wenigen Tagen ist Thich Nhat Hanh im Alter von 95 Jahren verstorben. „Friedlich im Tù Hieu Tempel in Hue, Vietnam“, wie es in einer Erklärung der von Thich Nhat Hanh gegründeten Gemeinschaft von Plum Village (Frankreich) heißt. Ein Leben wie ein Jahrhundertwerk. Er ist in demselben Tempel gestorben, in dem er mit 16 Jahren zum Mönch ordiniert worden war. Dazwischen war er 39 Jahre im Exil. Im Exil zu sein, war für ihn ein Umstand, der kaum auszuhalten war. Wo er lange um seine Berufung, seine Orientierung gerungen hat. Eine Zeit, die von heute aus betrachtet für viele zu einem riesengroßen Geschenk wurde, insofern Thich Nhat Hanh unzählige Menschen in seinem Exil „im Westen“ inspiriert hat, er in Nordamerika und in Europa so Vielen zum Lehrer wurde.

Diese gewaltige, wie es heißt, tausendjährige Eiche habe ich in den letzten Tagen öfter besucht. Und in ihrer Mächtigkeit und ihrer Würde ein Sinnbild für das Lebenswerk Thich Nhat Hanhs gefunden. Foto: Steve Heitzer

Einfach gehen

Wenn ich mich recht erinnere, war es mein Bruder, der mich zum ersten Mal auf den „Thay“, wie er gerne genannt wurde (ein respekt- und liebevolles Wort für ‚Lehrer‘) aufmerksam gemacht hat. Es war die Zeit, wo ich die Praxis und Haltung der Achtsamkeit kennen lernte. Im Rahmen meiner dann folgenden Ausbildung zum Achtsamkeits- und MBSR*-Lehrer habe ich seine Arbeit und seinen Geist in vielen Büchern und Übungen erlebt. So sehr ich das MBSR-Curriculum von Jon Kabat-Zinn** schätze und so wertvoll die Kurse sind, die er entwickelt hat: Manche Übungen erschienen mir immer wieder als sehr trocken, fast spröde. Darunter etwa die Gehmeditation. Erst in der poetischen Sprache und dem lebendig verbindenden Geist, den die Texte von Thich Nhat Hanh ausstrahlen, hab ich zum Beispiel zur Gehmeditation eine echte Liebe entwickelt. Etwa: Jeder Schritt, den wir achtsam tun, ist, als ob wir die Erde küssen. Oder: Wenn wir gehen, können wir uns bewusst machen, dass wir auf einem lebendigen Organismus gehen. Ja, das ist die Erde. Ein lebendiger, vor allem aber sensibler und seit geraumer Zeit ernsthaft bedrohter Organismus. In der Sprache Thich Nhat Hanhs wurden mir viele Alltagsübungen aus einer Praxis und Haltung der Achtsamkeit zu heiligen Ritualen. Zum Beispiel der Abwasch von Geschirr.

Einfach gehen. Und mit jedem Schritt die Erde küssen. Photo by Jose Aragones on Pexels.com

Sanft und friedvoll, engagiert und mächtig

Immer wieder gibt es gegenüber Mönchen oder überhaupt sehr auf Meditation und innere Einkehr bedachten Zeitgenossen den Vorwurf der Weltfremdheit oder gar Weltflucht. Das gilt für Vertreter*innen des Christentums ebenso wie denen, die in einer buddhistischen Tradition zu Hause sind. Thich Nhat Hanh war schon in jungen Jahren ein Vertreter des so genannten Engagierten Buddhismus. Sein klares und kritisches Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit, wo auch immer er diese Werte in Gefahr sah, bezahlte er teuer. Trotz seines Engagements im Krieg der USA gegen seine Heimat Vietnam wurde er auch von der südvietnamesischen Regierung zur Persona non grata erklärt und durfte bis wenige Jahre vor seinem Tod nicht mehr in seine Heimat zurückkehren. 1965 wandte er sich mit einem offenen Brief an Martin Luther King. Traf ihn ein Jahr später und wurde von diesem ein weiteres Jahr später für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Sein Lebenslauf ist ein eindrucksvolles Beispiel mindestens für zweierlei: Wie ein Mensch, der in einer Haltung und Praxis der Meditation und Achtsamkeit zutiefst verwurzelt ist, politisch auf höchster Ebene wirken kann. Und wie einem Menschen – ähnlich wie es etwa auch dem Dalai Lama, Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela widerfahren ist – großes Unrecht angetan wird; wie er gewaltsam daran gehindert wird, seinen für sich (und sein Volk) vielleicht klar vorgezeichneten Weg zu gehen. Und gerade dadurch ein Lebenswerk erschafft, das zum Wohl und Wert von noch viel mehr Menschen und für alle Zeiten wird.

Den inneren Garten kultivieren

Von Sharon Salzberg*** hab ich kürzlich ein Video gesehen, wo sie von einer Begegnung mit Thich Nhat Hanh erzählt. Dabei habe sie ihm erzählt, dass sie im Moment so voll Ärger sei: „I am so angry!“ Und sich dann doch geschämt hat, dem friedvollen Thay mit so einer emotionalen (Neben-)Sache zu kommen. Seine Antwort zeigt sein humorvolles und gleichzeitig tiefsinniges Lebenswissen: „Oh my Dear, hold on to your anger! And use it as compost for your garden.“ Auch wir nutzen in unserer Arbeit immer wieder das schöne Bild vom inneren Garten, den es zu kultivieren gelte. Genauso wie den Garten draußen. Thich Nhat Hanh spricht aus, was mir bisher so nicht bewusst war: Wie der Garten draußen, braucht auch der innere Garten „Mist“. Denn als Kompost bringt er eine fruchtbare Erde hervor, wodurch der Garten erst wirklich gedeiht. Ärger, Wut, Angst und all diese als negativ empfundenen Emotionen sind wertvoller „Mist“ für den inneren Garten. Freilich entsteht ein guter Kompost nicht von selbst. Da muss Luft dran und der Mist darf richtig behandelt werden. Diese Arbeit braucht es im äußeren wie im inneren Garten. Aber erst mit diesem transformierten „Mist“ wachsen die richtig schönen Blumen und trägt der Garten die besten Früchte!

Draußen in der Natur ist abzulesen, wie wertvoller Kreislauf geht. Wir dürfen raus- und loslassen, was uns beschwert, was faul ist und in der aktuellen Form zu Ende geht. Um es verwandelt als Kompost letztlich doch im Kreislauf des Lebens zu (be-)wahren. Alle nicht anders gekennzeichneten Fotos: Christian Heitzer-Balej

Möchtest auch du an deinem inneren Garten arbeiten, eine Praxis und Haltung der Meditation und Achtsamkeit kultivieren? Verbundenheit erleben? Zu deiner Power im Kopf auch deine Herzintelligenz nutzen? Am 14. Februar startet unser Kurs „Achtsam sein und herzwärts leben“, zugleich das Basis-Modul unserer Ausbildung zum h.e.a.r.t COACH. Alle Infos dazu findest Du hier und unter www.cordat.org!

______________

* MBSR steht für Mindfulness-Based Stress Reduction, zu deutsch „achtsamkeitsbasierte Stress-Reduktion“, und wurde in den 1970er Jahren vom Mediziner Jon Kabat-Zinn in den USA entwickelt. Das Curriculum setzt unter anderem auf Körperübungen aus dem Yoga, Sitz-Meditation und eine aus dem Buddhismus herausgelösten Haltung und Praxis der Achtsamkeit.

** Jon Kabat-Zinn hatte damals Thich Nhat Hanh um ein Vorwort für sein Standardwerk zum MBSR-Programm mit dem deutschen Titel „Gesund durch Meditation“ gebeten und dieses dann – nicht ohne Bedenken aufgrund seines ausdrücklichen Bezugs auf den Dharma, also die Lehren des Buddhismus – auch drucken lassen.

*** Sharon Salzberg (geboren 1952) ist eine us-amerikanische buddhistische Meditationslehrerin und Autorin.

Ein Kommentar zu „Kompost für den inneren Garten

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s