Manchmal läuft ein Hund schwanzwedelnd auf mich zu. Eine wildfremde Katze streift um meine Beine. Drückt sich an mich. Oder eine Amsel sitzt auf dem eigenen Dachgiebel – oder dem des Nachbarn. Singt ihr Abendlied. Ich habe das lange als nett empfunden. Hunde liebe ich schon immer. Die Liebe zu (und noch mehr: von) Katzen hab ich in den letzten Jahren erst entdeckt. Und durch Tina Turners Lied-Gebet „Beyond“ hat das Singen der Vögel für mich so etwas wie eine spirituelle Dimension bekommen. In unserer postmodernen Gesellschaft ist es üblich, sich individualistisch durch unser alltägliches Leben zu bewegen. Wir sehen uns hauptsächlich auf uns selbst geworfen. Wir müssen unser Ding schon alleine machen. Wenn wir in einer solchen Haltung unterwegs sind und kaum Hilfe von anderen Menschen erwarten, geschweige denn woanders her, werden uns tierische Begegnungen kaum mehr als eine nette Beiläufigkeit sein. Wenn wir uns allerdings aufgehoben wissen in einem universellen Netzwerk, wo jede Begebenheit und Begegnung uns lebensdienliche Hinweise geben möchte, können uns die Tiere wirkliche Freund*innen und Gefährt*innen sein, gleichsam göttliche Botschafter*innen.
Teamtreffen im Grünen

Kürzlich erst hatten wir das Teamtreffen unseres großen Visionsprojektes ins Grüne verlegt. Passend zu der dahinterstehenden Vision eines „Grünen Hügels“ als Lebens- und Arbeitsort einer Gruppe von Gleichgesinnten. Und der kleine Park am Rande der Regensburger Altstadt birgt selbst einen kleinen grünen Hügel. Dorthin haben wir unsere Tagesordnung samt Picknick gelegt. Inmitten unseres Treffens besucht uns bzw. den direkt neben uns gelegenen kleinen Weiher ein Graureiher. Voll zielstrebiger Klarheit und gleichzeitig ohne Eile und ohne sich von uns gestört zu fühlen, spaziert er auf den Weiher zu und liest – schließlich ist ja mittags – in der „Speisekarte“.
Ein Graureiher im Herzogpark
Er steht ruhig am Ufer und hält besonnen Ausschau nach seiner Nahrung im Wasser. Ab und zu schreitet er im flachen Ufer umher, geduldig bereit, Leckerbissen aus dem Wasser zu fischen. Sein Kopf ist klar, sein Blick weit.*
Aufgewachsen in der Nähe eines kleinen Naturschutzgebietes ist mir der Anblick eines Graureihers wie der des ihm verwandten Silberreihers durchaus vertraut. So nah und quasi mitten in der Stadt habe ich allerdings noch keinen Reiher gesehen oder gar so in Aktion erlebt. Nachdem er sich ordentlich umgeschaut hat, wird unser Reiher nämlich zielstrebig. Er platziert sich an einer Stelle und fixiert, was er aus der Speisekarte gewählt hat: seine Beute. Völlig gerade hat er sich aufgerichtet. Wie ein Kran fährt er Stück für Stück seinen Hals samt Schnabel nach vorne. Und weiß genau, wann es soweit ist: Fokussiert und genau um den richtigen Moment wissend packt er schließlich zu und verspeist einen Frosch. Und während ich gedanklich bzw. im Herzen hin und her wandere zwischen „Bravo, so unaufgeregt effizient geht Beutefang“ und „der arme Frosch“, sieht sich unser Reiher glatt noch einmal auf der Speisekarte um: Man kann ja mal schauen, was unter „Dessert“ zur Auswahl steht.
In der Tiefe verborgen
Hat dieses kleine Schauspiel, diese scheinbar so unbedeutende wenn auch „nette“ Begebenheit mit einem Reiher etwas mit mir zu tun? Was will mir dieser Reiher „sagen“? Welche Botschaft hat er oder bringt er mit aus dem ‚Universum‘? Dem Universum als dieser tiefgründigen Vernetztheit, die unser Leben unterfängt?
Er ist einer der größten Vögel in unseren Breiten – und hat schon in der Antike die Menschen zu mythologischen Betrachtungen inspiriert. Die Ägypter und Griechen haben in ihm den Phoenix gesehen. Der Vogel, der sich vor seinem eigenen Tod selbst verbrannte, um dann aus seiner eigenen Asche aufzuerstehen. Auch bei den Germanen spielt er eine Rolle, als Begleiter der Göttin Frigga. Und in China ist er ein Glückstier.

Das Krafttier Graureiher steht für „in die Tiefe gehen“, heißt es weiter. Er steht „für die Fähigkeit, im Unterbewusstsein zielgerichtet zu fischen. Er erreicht dabei große Quellen, die wir über den Verstand nicht erfassen können. Er ist verbunden mit allem, denn Wasser ist ein sehr verbindendes und durchdringendes Element und die Quelle allen Lebens und erfasst manchmal Dinge, die im Verborgenen liegen.“
Ich kann für einen Moment innehalten und aus der Stille auftauchen lassen:
Was liegt bei mir in der Tiefe – verborgen?
Was zeigt sich?
Was will von mir angepackt werden?
Was will von mir zielgerichtet fokussiert und schließlich er-fasst werden?
Selbstachtung und Geduld
Majestätisch, wie der Reiher ist, ist er auch „ein Zeichen der Selbstachtung, die es zu behalten gilt und des In-Sich-Ruhens. Klarheit finden aus Meditation und Stille“, heißt es weiter.
Der Reiher erinnert uns, ganz in diesem Moment zu bleiben und uns nicht ablenken zu lassen, sondern stattdessen in der Selbstliebe und bei sich zu bleiben. Ganz in Ruhe und Vertrauen zu sein, ist seine Stärke, auch in schwierigen Zeiten. Höre auf deine innere Stimme, scheint er uns zu sagen, du nimmst viel mehr Verborgenes wahr, als sichtbar ist.
Wie Phönix aus der Asche
Für unser Visionsprojekt gibt es noch diese Botschaft: „Er ermahnt uns aber zugleich, immer geduldig zu bleiben, wie lange es auch dauern mag.“ Und der Lohn der Geduld? Wenn man sieht, wie der Reiher dann aufsteigt: So würdevoll und klar wie er dahinschreitet, so majestätisch erhebt er sich auch in die Lüfte. „Er scheint alles überstehen zu können, bleibt immer in seiner Kraft.“ Und erhebt sich irgendwann dann plötzlich wie der Reiher aus dem Weiher. So darf es mit unserem Visionsprojekt – und mit den Herzensprojekten jedes und jeder einzelnen – auch sein: Es kommt der Kairos, der rechte Augenblick, zuzupacken. Und dann steigt das Projekt zur Realisierung wie Phönix aus der Asche.

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* Alle kursiv oder in Anführungszeichen gesetzten Zitate entstammen dem schönen Beitrag von Andrea Lammert, den ich unter http://schamanen-garten.de/krafttier-graureiher/ gefunden habe.