Achtsam pilgern. Mit der Weisheit der Sinne unterwegs sein

Wir „gehen spazieren“, „laufen“ oder „joggen“. Wir machen „nordic walking“ oder  gar „power walking“. Wir „wandern“ aber auch wieder mehr und nach wie vor hoch im Kurs ist es, zu „pilgern“. Was aber ist eigentlich „Pilgern“ über das „Wandern“ oder „Spazieren gehen“ hinaus? Und vor allem: Was meinen wir, wenn wir gar vom „achtsamen spazieren gehen“ bzw. vom „achtsamen Pilgern“ sprechen? Zum Pilger gibt es natürlich jede Menge Literatur.  „Achtsam pilgern“ dagegen ist vielleicht ein ganz neuer Gedanke. Deshalb wollen hier einen kleinen Versuch machen, zu beschreiben, was wir damit meinen. Und damit auch eine für uns stimmige Unterscheidung anbieten, so dass jede/r die oder der mit uns unterwegs ist, eine Vorstellung davon hat, was man erwarten darf.

Wenn wir „wandern“

Beim Wandern haben wir in der Regel eine klares geo- oder topographisches Ziel vor Augen bzw. eine bestimmte Route. Wir wandern auf den Berg XY, wir gehen ein Stück auf einem bestimmten Wanderweg oder machen eine Rundwanderung, eine Hüttentour etc.. Ziel ist vielleicht, sich körperlich zu spüren, das Genießen der Natur oder einfach ein Beitrag zu unserer Fitness oder Gesundheit. Manche nennen so etwas auch schlicht eine „Freizeitaktivität“ oder gar „Zeitvertreib“ (was für ein irritierender Gedanke!).

Das (ganze) Leben im Gepäck

IMG_20150812_164701Was aber ist Pilgern eigentlich anderes als Wandern? Pilgern ist in den letzten 20 Jahren gerade im deutschen Sprachgebrauch sehr eng mit dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien verknüpft. Dieser ist neben den „Wallfahrten“ ins sog. Heilige Land (Israel) und nach Rom einer der drei schon im Mittelalter beliebten Pilgerwege. Wenn wir den Begriff „pilgern“ gebrauchen, schwingt mehr als das mit, was wir eben über das „wandern“ gesagt haben. Pilgern assoziiert, dass wir auf einem ausgesprochenen „Pilgerweg“ unterwegs sind, in der Regel deutet es auch hinsichtlich der Länge schon auf mehr als eine Tagestour. Es geht auch um mehr als das bloße Gehen, es geht mindestens darum, sich bei diesem Gehen „ein paar Gedanken über sein Leben zu machen“ bis dahin, dass man sich so ausdrücklich wie vielleicht noch nie zuvor in seinem Leben mit den Fragen nach dem Woher und Wohin auseinandersetzen möchte. Es kann mit der Absicht des Pilgerns auch die Hoffnung verbunden sein, eine Antwort auf eine bestimmte (Lebens-) Frage zu bekommen oder, was bereits eine sehr lange Tradition hat, ein „Gelübde“ zu erfüllen, also ein Versprechen einzulösen, das man für den Fall der Erfüllung gegeben hatte (zum Beispiel Genesung von einer schweren Krankheit oder ähnliches). Gerade mit letzterem kann außerdem eine religiöse Haltung verbunden sein, wie überhaupt manche das Mehr des Pilgerns in einer wie auch immer gearteten spirituellen Dimension beschreiben würden oder der Verknüpfung mit der dezidierten Frage nach Gott im persönlichen Leben.

 

Was ist Achtsamkeit?

Was aber ist nun „achtsames“ Pilgern? Um diese Frage zu beantworten, muss erst erklärt werden, was Achtsamkeit ist bzw. was wir darunter verstehen. Achtsamkeit ist in erster Linie ein Wahrnehmen: Wahrnehmen, was in und um mich herum vor sich geht. „In mir“ IMG_20150813_173735meint: Was sich gerade körperlich bei mir tut, wie sich mein Gedankenkarussell dreht, mit welchen Gefühlen ich unterwegs bin. Und „um mich herum“ meint das ganze Spektrum unserer Sinneseindrücke: Was sehe ich? Was höre ich? Was rieche ich? Was schmecke ich? Was spüre und fühle ich? Und so führt die Übung des Wahrnehmens zu Präsenz, zu einem Gegenwärtigsein. Wenn ich lerne, all diese Wahrnehmungen zunächst einmal Wahrnehmungen sein zu lassen, sie also nicht zu beurteilen („der Vogel singt aber schön“, „der Baustellenlärm ist nervig“), vielleicht nicht einmal zu interpretieren („warum hab ich jetzt schon wieder Kopfweh?“), dann bin ich bereits mitten drin in einer achtsamen Haltung: Ich bin wie vor einem offenen Horizont, mit einer großen Freiheit und Lebendigkeit.

Mit allen Sinnen wahrnehmen. Gehend Achtsamkeit einüben

Um Achtsamkeit – also solches Wahrnehmen, in der Gegenwart sein und dabei ohne Urteilen zu bleiben – im Alltag kultivieren und letztlich leben zu können, helfen uns das formale Meditieren, Körperwahrnehmungsübungen (z.B. Body-Scan) und Yoga. Wir von CORDAT haben entdeckt, dass unser Spazierengehen, unser Wandern und Pilgern ebenfalls zu einer hilfreichen Achtsamkeitsübung werden kann. Wenn wir uns ganz bewusst auf den Weg machen, aufbrechen, gehen, entsteht auf ganz natürliche Weise ein großer Raum für Wahrnehmungen nach innen (Körper, Gedanken, Gefühle) wie nach außen (Sinneseindrücke). Wenn wir länger unterwegs sind, also wandern oder sogar mehrere Tage unterwegs sind und pilgern (also mit einer spirituellen Offenheit, für das, was geschieht), ergibt sich erst recht ein großartiger Raum, uns selbst zu spüren, in uns liegende Fragen zu hören, anzukommen bei meinen Gefühlen und über die Sinne Entdeckungen um uns herum zu machen. Gerade neue Wege, neue Landschaften können uns zur Offenheit verhelfen, wecken den Anfängergeist in uns – und inspirieren uns, die üblichen Schubladen zu lassen und die Welt und uns selbst mit neuen Augen und im besten Fall mit dem Herzen zu sehen. Wir erfahren die Weisheit der Sinne.

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Wenn wir also vom „achtsamen spazieren gehen“ bzw. „achtsamen pilgern“ sprechen, ist damit gemeint, dass wir das Gehen, Wandern und Pilgern als Raum nutzen, Achtsamkeit – also Wahrnehmen, Präsenz und dabei ohne Urteil zu bleiben – einzuüben. Spazieren gehen, Wandern, Pilgern als Übungsraum der Achtsamkeit. Warum? Weil es schon während des Gehens ein Plus an Erleben ist und es unseren ganzen Alltag mit mehr Lebensqualität tränken kann.

Am Sonntag, 17. September brechen wir mit einer kleinen Gruppe für 9 Tage auf, um unter dem Motto „EAT. PRAY. HEART“ auf dem italienischen Franziskusweg achtsam vom heiligen Berg La Verna bis nach Assisi zu pilgern. Im Frühjahr 2018 (Sa. 26. Mai bis So. 3. Juni 2018) gibt es dieses Erlebnis erneut. Und ab 2. Oktober beginnt in Regensburg wieder unsere Reihe der „achtsamen Spaziergänge“: Achtsamkeit „to go“ – Eine Stunde achtsam unterwegs sein in Regensburg: ein etwas anderer Stadtspaziergang im Herbst (2. / 9. / und 23. Oktober 2017 jeweils von 18 – 19 Uhr). Alles dazu schon jetzt bzw. bald auf unserer website www.cordat.org.

 

BUON CAMMINO

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