„Ammmmazing! Meraviglllllioso“

(Selbst-)Begegnungen im toskanisch-umbrischen Indianer-Reservat

Wir sind seit zwölf Stunden mit unserem VW-Bus unterwegs. München – Innsbruck – Brenner – Sterzing – Bologna. Stau und immer wieder Stau. Jetzt, gegen 21 Uhr, da es dunkel wird, sind wir auf der Suche nach dem Campingplatz, bei dem wir uns eingebucht haben. Caprese heißt das Dorf noch in der Toskana gelegen, doch schon nahe Umbrien und damit nahe ihrer, wie das Reisemagazin GEOSAISON einmal titelte, „schönsten Schwester“.

Von der Toskana, ihrer „schönsten Schwester“ und keinem geringeren als Michelangelo

Erst als wir unserem Navi trotzen, kommen wir endlich an bei „happycamping“ in dem unscheinbaren Dorf Caprese, das stolz den Beinamen ihres berühmtesten Sohnes Michelangelo trägt. Tatsächlich wurde das Rennaissance-Genie hier geboren und sein Geburtshaus ist heute ein kleines Museum.

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Wunderschöne Landschaft mit Ausblick auf dem Weg nach Caprese Michelangelo

Das Dorf könnte ein Wallfahrtsort sein ob der Größe ihres Sohnes. Tatsächlich taucht es in keinem Reisführer auf und ist schlicht ein Nest in der toskanischen Peripherie geblieben.  Wir werden empfangen wie verlorene gegangene Söhne und Töchter. Wir dürfen uns für unseren VW-Bus einen schönen Platz aussuchen und es gibt ohnehin nur schöne auf diesem naturbelassenen Hügel. Vor allem aber sollen wir doch zu Ihnen an die große Tafel kommen und noch was essen. Wir sagen, wir brauchen noch Informationen zu einem Bus morgen nach La Verna (wir wollen unser Auto hier lassen und diese Etappe von La Verna nach Caprese morgen zu Fuß gehen). „Moment“, sagt der etwa 35jährige Juanjo, er habe gerade mitbekommen, dass die neben uns einzigen Gäste am Campingplatz, ein spanisches Paar, morgen mit dem Auto (ebenfalls ein VW-Bus) dorthin fahren werden. Er fädelt ein, dass wir mit ihnen mitfahren können – und das lästige Thema Bus für morgen früh hat sich mit einem Schlag erledigt. Super! „Grazie mille“ und „gracias“. Läuft….

Ein spanisch-niederländisch-italienischer Schein-Sioux als Gastgeber

Nachdem wir uns einen schönen Platz ausgesucht haben, nehmen wir unsere Reste an bayerischer Brotzeit und setzen uns an die Tafel zu Juanjo und den Seinen. Er stellt uns die Karaffe mit Wein hin, wir sollen uns bedienen. Außerdem bringt er uns Bohnen aus eigenem Anbau (alles bio, sagt er), die wir gut als Rohkost zu unserer Brotzeit essen können. Und wir erfahren, dass Juanjo halb Spanier ist, halb Niederländer. Dass er seit 15 Jahren hier in Italien ist. Und seine Frau die Tochter von amerikanischen Eltern ist, die von den Sioux abstammen. Und seiner Sioux-Schwiegermutter gehört der Campingplatz eigentlich… What a story!

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Das CORDAT-Team mit Juanjo und Maya von happycamping: http://www.campingmichelangelo.com/

Und als er am nächsten Tag über die Gegend hier schwärmt, wie er erzählt, dass er von hier aus schon auf einer Tour zu Fuß bis Barcelona aufgebrochen ist und unter anderem dabei Wege markiert hat, dass er im Winter bei einem Meter Schnee in Schneeschuhen und mit dem Snowboard am Rücken unterwegs ist und im Sommer im künstlichen See tauchend im darin verborgenen Dorf spazieren geht, wird man den Eindruck nicht los, er selbst sei ein Nachfahre von Sioux‘: Juanjo, der postmoderne kosmopolitische Indianer in einem sagenhaften Landstrich Italiens – am Geburtsort des berühmten Michelangelos. „Ammmmazing! Meraviglllllioso!“ meint er mehrfach, und rollt dabei das „l“ wie ein Latino das „ll“ zum „sch“. Ja, faszinierend, wunderbar und wundersam dieser Ort, diese Gegend, dieser Typ und seine Geschichte.

Pilger als Möchtegern-Indianer

Am nächsten Morgen bringt uns das spanische Paar mit ihrem VW-Bus via spanisches Navi nach La Verna, dem heiligen Berg. Unser Fahrer verabschiedet sich und lässt durchblicken, wie „jealous“ er sei und dass er am liebsten sofort mit uns mit g e h e n würde. Als wir am Abend zu Fuß zurück von La Verna kommen, hupt uns Juanjo unten an der Straße bereits an: Wir sollen hier gleich durch das Unterholz gehen, dann müssen wir nicht über den Asphalt hinauf nach Caprese, das oben auf einem Hügel thront wie ein Turm. Wir nicken und sagen, wir würden den Weg bereits vom letzten Mal kennen.

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Das kleine Dorf Caprese trägt im Beinamen seinen wohl berühmtesten Bewohner: Michelangelo

Dennoch verfransen wir uns, nachdem wir das zweite Mal auf die Straße treffen, völlig im Dickicht, weil wir vor indianischer Euphorie die Idee zu ernst genommen hatten: Ab der zweiten Kehre muss man eigentlich den Rest tatsächlich auf der Straße hinaufgehen. Und Juanjo schüttelt den Kopf, als WIR ihm völlig verkratzt bei happycamping angekommen erklären, wir hätten uns bis nach oben hin durch das Unterholz durchgeschlagen: „Kann gar nicht sein. Da gibt’s doch kein Durchkommen …“

 

„It seems so real…“ Weiter über Anghiari nach Sansepolcro

Schließlich ist time to say Goodbye, da wir noch nach Sansepolcro müssen, Auto parken und darin übernachten, um auch die zweite Etappe nochmal ganz zu Fuß gehen zu können. Dazu müssen wir dann morgen früh tatsächlich mit dem Bus zurück nach Caprese Michelangelo fahren.

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Anghiari bei Nacht – ein imposanter Anblick

Aber das ist schon die nächste Geschichte. Jetzt, nachdem wir geduscht sind, begeben wir uns für ein Abendessen ins Mittelalter, nämlich nach Anghiari, einem sagenhaften Städtchen, dessen Silhouette von amerikanischen Freunden unseres Sioux-Clans voll der Überzeugung, es könne sich hier nur um eine Attrappe handeln, mit den Worten kommentiert wurde: „Wow! It seems so real!“ Und uns ist klar geworden, dass diese landschaftlich so reizvolle Ecke hier am künstlichen See von Montedoglio eine eigene Reise wert wäre; ein Urlaub, ein Wanderurlaub, ein längeres Abenteuer. Oder wie für Juanjo gar ein ganzes Leben.

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