Reisen ist das Privileg derer, die nicht auf der Flucht sind. Irgendwohin fahren und auch schon irgendwohin gehen, ohne dass man es muss, ist ein großes Geschenk. Ein unverdientes Geschenk. Theologisch: Gnade. Keineswegs selbstverständlich. Weder gestern noch heute. Nicht in vergangenen Jahrhunderten und nicht im 21. Jahrhundert. All das ist mir in diesen Tagen wieder besonders bewusst geworden.

Alles außer gewöhnlich
„Alles außer gewöhnlich“ hieß es schon auf der Titelseite des Reisemagazins, das uns kurz vor dem Urlaub in die Hände gefallen war. Gemeint war: Bella Italia wieder einmal auf ungewohnte Weise entdecken. Da muss man uns nicht zweimal bitten. Nicht für „Bella Italia“ und schon gar nicht für das mit der außergewöhnlichen Weise. Doch was sind „Alberghi diffusi“.?
Alberghi diffusi
Nicki redet kaum drei Sätze von dem, was sie gelesen hat und ich bin schon on fire. Hoteliers ent-decken alte Bergdörfer und erwecken sie zu neuem Leben, indem sie den alten Dorfplatz zur Terrasse machen und in die umliegenden Häuser Appartements einrichten. Was für eine grandiose Idee! Da müssen wir hin.

Weltweites Phänomen
Tatsächlich gibt es mittlerweile viele davon. Und das nicht nur in Italien. Es scheint ein weltweites Phänomen zu sein. Was für Good News in Zeiten wie diesen! Die Preise für diese Unterkünfte sind keineswegs günstig und an Pfingsten geht man auch in Alberghi diffusi schon mal leer aus, was freie Zimmer angeht. Wir hatten es schon abgeschrieben, da macht Nicki von Turin aus noch einmal einen Versuch und wir landen am Ende dort, wo wir eh hinwollten: in die Berge hinter Sanremo, doch nicht zu weit, damit wir nah am Meer sind.
Apricale: Liebe auf den ersten Blick
Schon auf der Fahrt erliegen wir dem Charme von Apricale: Als sich die Straße hinaufwindet und wir es entdecken, ist es Liebe auf den ersten Blick. Spektakulär hängen sie da in den Bergen wie ein Bienenschwarm, diese uralten Steinhäuser mit der Kirche und dem Castello ganz oben.

Zeitreise in vergangene Jahrhunderte
Oben angekommen tauchen wir ein in längst vergangene Jahrhunderte. Jede Gasse, jedes Haus erzählt hier eine Generationen übergreifende Geschichte. Fantastisch, wie hier in zurückgelassene uralte Gebäude neues Leben einkehrt. Nicht nur die Zimmer des Alberghi diffusi mit dem Namen „Munta e cara“ sondern weitere B&Bs, Restaurants, Alimentari, eine Farmacia und so weiter. Der Aufenthalt in Apricale wird uns zu einer geweihten Zeit in einem geweihten Dorf. Das „Munta e cara“ wirbt mit Un Sogno da vivere, ‚ein Traum zu leben‘. Ja, es ist traumhaft schön hier. Und wie wundervoll, dass wir und all die anderen Gäste hier so ein Bergdorf wieder er-leben dürfen.
Stop’n go auf die spektakuläre Weise
Als wir uns nach vier Tagen auf den Rückweg machen, kommen wir genauso langsam voran, wie es uns selbst schwerfällt zu gehen. An diesem Pfingstsonntag scheint halb Italien und Frankreich zusammen zwischen der Cote d’Azur und Genua unterwegs zu sein. Es geht nicht nur auf der Küstenstraße im Stop’n go sondern ebenso auf der Autostrada. Wir entscheiden uns deshalb für die Straße ganz nah am Meer – und brauchen letztlich 10h für 300km. Und weil wir dieses spektakuläre Stop’n go auch genossen haben, hadern wir nicht damit. Sondern schlafen noch einmal eine Nacht im Auto und fahren am nächsten Morgen in aller Früh die übrigen 600km zurück.

Sich die schönsten Plätze zum Leben aussuchen
Das Leben selbst ist ein wunderbarer Traum. Wenn uns bewusst wird, was uns alles geschenkt wird: Dass wir zu unserem Vergnügen reisen können. Dass wir den Umweg über die Küstenstraße machen. Und dass wir, wenn wir wollen, uns einfach die schönsten Plätze zum Leben aussuchen dürfen.
Mit der Zeit – in über zwei Millionen Jahren – wurde alles, was wir einst aus Notwendigkeit taten, Stück für Stück zu etwas, was wir aus Vergnügen tun. Über einen Acker gehen, einen Berghang hinaufsteigen, an einem Felsen entlanggehen, oder im Wald eine Feuerstelle suchen, sind Freizeitbeschäftigungen geworden. Die Füße, die den Menschen zu überleben halfen, sind zu einem Werkzeug geworden, damit wir am Strand den schönsten Platz finden und auf dem Heimweg einen Umweg machen.
Erling Kagge, Gehen. Weiter gehen. Eine Anleitung, S. 58

Mit unseren Auszeiten/Retreats schaffen auch wir von cordat herzensbildung Gelegenheiten für den sogno da vivere, dem ‚Traum zum Leben‘. Die nächsten Gelegenheiten sind von 14. bis 16. Juni auf dem wundervollen Gut Hötzing und vom 10. bis 17. September in dem traumhaft schönen Milelia-Inselgarten auf der griechischen Insel Lesbos. Alle Infos dazu unter http://www.cordat.org. Wir freuen uns auf eine Begegnung von Herzen!