An Allerheiligen? In unserer Solawi (= solidarisches Landwirtschaftsprojekt) kam ein kurzer Aufruf: Die Roten Beete müssen raus – also geerntet werden. „Sollte jemand an Allerheiligen noch nichts vorhaben: Wir würden uns über ein paar Erntehelfer*innen aus den Reihen der Mitbäuerinnen und Mitbauern freuen!“
Rote-Beete-Ernte an Allerheiligen
Hm, dachte ich mir, warum eigentlich nicht. Mein Sohn Samuel ist gerade da und wir hatten schon an der Kartoffelernteaktion eine Freude. Da war es Sommer und richtig heiß. Dieses Mal: Novembergrau, nasskalt. Wie man es sich halt an Allerheiligen so vorstellt. Bei Samuel hielt sich die Lust zunächst in sehr engen Grenzen. Aber er hat nicht klar nein gesagt. Das darf auch mein 13jähriger lernen, wenn ihm danach ist. Wir also hin. Etwas verspätet zwar, aber bei den Kolleginnen Mitbauern und vor uns in der Reihe noch reichlich Rote Rüben in der Erde.

Ganz easy
Der Michl (Gemüsebauer) und die Sophie (Gemüsebäuerin) erklären uns, was es wie zu tun gibt. Es ist alles ganz easy: Wir ziehen mit der einen Hand Rübe für Rübe aus dem Boden und drehen mit der anderen den Blätterbüschel ab. Dann in den Korb und wenn der voll ist, diesen in die Kiste ausleeren. Das hört sich wunderbar einfach an und genauso ist es auch. Ich liebe es, wenn der Arbeitsauftrag so klar und unkompliziert ist.
Die Basis verbreitern
Binnen weniger Minuten verwandeln sich unsere Wander- bzw. Turnschuhe in (gefühlte) Schneeschuhe. Der nasse und etwas lehmige Boden legt sich wie magnetisch an unseren Schuhen ab und verbreitert die Basis. In kürzester Zeit steigt die Nässe vom Boden in die – weil längst ausrangiert – natürlich nicht mehr dichten Turnschuhe und zieht in die Füße. Als grandios dagegen entpuppt sich Michls Tipp und Support: „Zieht diese Gummihandschuhe unter die Arbeitshandschuhe, dann werden die Hände nicht nass und kalt.“ Das klappt tadellos und hält Gegengewicht zu den nassen Füßen.
Schlägt das Wetter auf die Stimmung?
Mich wundert, dass Samuels linke Hand stark genug ist, die zum Teil sehr großen Rüben zu halten, um mit der anderen das Blätterbüschel abzudrehen – immerhin hat er erst seit drei Tagen die Gipsschiene los, die vier Wochen lang seinen gebrochenen Finger geschützt und damit auch die Muskeln entkräftet hat. Und ich frage mich, ob bald die Ansage kommt, dass ihm diese Arbeit bei diesem Wetter hier draußen so gar nicht schmeckt. Doch es kommt ganz anders.
„Geile Farbe. Cooles Geräusch“
Nach etwa einer halben Stunde sagt er: „Ich hatte am Anfang ehrlich gesagt überhaupt keine Lust. Aber jetzt find ich’s cool.“ Ich: „Ok, cool?“ Er hält mir die gerade herausgezogene Rübe hin und zeigt auf die Stelle, wo die Blätter aus der Rübe herauskommen: „Die Farbe ist doch mal so richtig geil!“ Und während er das Blätterbüschel abdreht: „Und das Geräusch find ich auch cool.“ Und überhaupt liebt er einfach das Draußen-Sein, sagt er. Ja, das weiß ich natürlich und ich bin wieder mal so dankbar, dass er von sich aus das wirklich grandiose Lila sieht und wahrnimmt, dass ihm das Geräusch so gefällt. Und ich liebe es, dass das Draußen-Sein sogar dann das Handy sticht, wenn es so ein Wetter hat und auch körperlich anstrengend ist.

Das Leben jenseits der Komfortzone
„Das Leben beginnt jenseits der Komfortzone“, zitiert er noch seinen Lieblings-YouTuber. Und selbst dem danke ich in diesem Moment wieder, weil Samuel sein eigenes Bedürfnis in den Beiträgen auf seinem Kanal immer wieder gespiegelt bekommt und ihn die Beiträge motivieren, dieses Bedürfnis nach Draußen-Sein auch wirklich umzusetzen.
„Crunchy“ Spezi
Immer wieder mal ruft Samuel den Michl oder die Sophie und lässt sich was erklären: was das für Eier/Larven sind, die er im zurückbleibenden Loch der herausgezogenen Rübe entdeckt oder die Kohlarten, die in der Reihe neben der Roten Beete stehen. Ob er ihm was zu Trinken bringen darf, fragt ihn irgendwann der Michl. „Was hast du denn?“, fragt Samuel. „Was hättest du denn gern?“, der Michl. Samuel: „A Spezi“. Also bringt Michl mit der nächsten leeren Rote-Beete-Kiste per Bulldog auch ein Spezi mit. Macht es ihm – „genau so, wie es sich hier draußen gehört“, meint Samuel – mit dem Meterstab auf. Samuel nimmt einen Schluck von dem, wie er wegen der bis zum Hals mit Erde beschmierten Flasche sagt: „crunchy Getränk“.

Kuchen und Schokolade oder das kleine große Glück
Später dann sind wir, obwohl die Vormittagsschicht mangels williger Helfer*innen ausgefallen war, um halb Fünf schon fertig. Und es gibt noch bei Tageslicht an der improvisierten Bar vorm Stadel mitgebrachten Kaffee, Tee, frischen Apfelkuchen und Schokolade („von Halloween übrig geblieben“). Das alles und auch die Gespräche schmecken ganz wunderbar und vorzüglich nach getaner Arbeit und in der netten ad hoc entstandenen kleinen Erntegemeinschaft. Und ich denke mir beim Heimfahren: So lebendig hat sich Allerheiligen noch nicht angefühlt.
Lokha samastha sukhino bhavanthu
Ein paar Tage danach war ich bei einem Mantra-Singen in einem wunderschönen Yoga-Studio in Oberbayern. Am meisten berührt hat mich das Lied „Lokha samstah sukhino bhavantu“. Die Melodie des Mantras setzt sich geradezu heilend in allen Zellen des Körpers ab. Und die Worte, also der Sinn des Mantras ist entsprechend: „Mögen alle Wesen in allen Welten glücklich sein!“ Ich glaube fest daran, dass wir die Herausforderungen der Zeit, in der wir stehen, nur dann meistern, wenn unser Blick weit wird und das Herz offen. Wenn wir freundliche Verbundenheit anstreben. Untereinander und auch mit dem Boden samt der Roten Rüben darin. Mit allen Wesen um uns herum. Und wie von selbst beschreiten wir damit einen Weg auch heraus aus der Klimakrise, die in Wahrheit eine Krise der Beziehung ist: Lassen wir die Entfremdung hinter uns und verbinden wir uns mit allen Heiligen, allen Seelen und allen Wesen auf dem Boden und im Netzwerk des Lebens!
PS: Der nächste Beitrag in diesem Blog widmet sich diesem Anliegen gleich noch einmal!
Mit unseren Angeboten zur Herzensbildung und Achtsamkeit pflegen wir das Anliegen dieser freundlichen Verbundenheit. Wir unterstützen Menschen dabei, wieder in eine freundliche Verbundenheit mit ihrem Körper, ihren Gedanken und Gefühlen, mit ihrem Herzen und mit ihrer Intuition zu kommen. Mehr dazu unter www.cordat.org.
Schön und richtig toll wie bereichernd die Natur und gleichgesinnte Menschen immer wieder sein können Danke für diesen sinnerfüllten Blogbeitrag!!
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