Es gibt in den Sprachen dieser Welt ganz unterschiedlichste Grußformeln. Kaum eine könnte wohltuender und stimmiger sein in Zeiten wie diesen als die, die sich die Macher von „Avatar“, einem der weltweit erfolgreichsten Filme ausgeliehen haben: „Ich sehe dich!“
Die Sprache der Naví

Ich gebe zu, dass ich alles andere als ein Filmkenner bin. Die Kinobesuche meiner mehr als 50 Lebensjahre kann ich wohl an zwei Händen abzählen. Insofern ich mit meiner jetztigen Partnerin in einer film-begeisterten (bis in der Filmbranche arbeitenden) Familie gelandet bin, hole ich so manchen Blockbuster via DVD, Netflix oder Disney Channel nach. Lange habe ich mich in diesem Zusammenhang gegen „Avatar“ gewehrt. Um mich dann doch eines Tages einzulassen – in dieses Science-Fiction-Abenteuer. Und was soll ich sagen: Natürlich ist da viel Hollywood und Action und auch ein wenig Schwarz-Weiß. Aber die Story als Ganze ist fürwahr prophetisch. Einige Stellen haben mich sehr berührt. Dazu gehört die Grußformel der Naví: Wie wunderbar sinn-voll und bewegend, sich anstelle von „Hallo“, „Guten Tag“, „Servus“ oder „Grüß Gott“ mit Ich sehe dich! zu begrüßen!
Ubuntu
Einige Wochen später bekam ich von einer lieben Freundin ein schönes Buch geschenkt. Autorin ist Mungi Ngomane, Enkelin des Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu. In „14 Lektionen für ein Leben in Verbundenheit“ stellt sie das afrikanische Prinzip „Ubuntu“ vor. „Ubuntu“ steht für Menschlichkeit, Großzügigkeit, Mitgefühl. Vielleicht ist „Ubuntu“ so etwas wie die afrikanische Version von Achtsamkeit | mindfulness.
Dieses kleine Wort birgt eine große Idee. Sie entstammt einer südafrikanischen Philosophie und umfasst unser Streben nach einem guten gemeinsamen Leben. Wir erfahren Ubuntu, wenn wir in Beziehung mit anderen treten und uns mitmenschlich verbunden fühlen; wenn wir wirklich zuhören und eine emotionale Verbindung spüren; wenn wir uns und andere Menschen mit der Achtung behandeln, die wir alle verdienen.
Mungi Ngomane in: I AM BECAUSE YOU ARE. Ubuntu – 14 südafrikanische Lektionen für ein Leben in Verbundenheit. Kailasch: München 2019, S. 13.

Und siehe da: Auf Seite 18 lese ich plötzlich von „Sawubona!“ als einer südafrikanischen Begrüßung, die ‚Ich sehe dich!‘ bedeutet. – Natürlich haben die Filmemacher von „Avatar“ die Grußformel „Ich sehe dich!“ nicht einfach erfunden. Sie haben sie gefunden. In Südafrika. Und sie spiegelt die Lebensphilosophie von „Ubuntu“.
„Ich sehe dich!“
In einer Begegnung seinem Gegenüber zuallererst zu versichern, ihn oder sie „zu sehen“, wirklich wahrzunehmen, mit dem, was er oder sie mitbringt: Hoffnungen und Ängste, Vertrauen und Sorgen – was könnte dem Frieden im Miteinander mehr dienen? Und ist es nicht genau das, was in der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft in diesen Tagen fehlt: Dass wir uns nicht mehr wahrnehmen in dem, wo wir umgehen? Dass wir nur noch zwei Schubladen kennen, in die wir die Menschen einsortieren? Es gibt nicht „die einen“ und „die anderen“. Jeder Mensch handelt mit bester Absicht. Jede*r hat seine Geschichte, seine Verstrickungen, seine Wünsche, eine aus vielen Lebenserfahrungen gewonnene, aus vielen Strömungen geronnene Haltung. Vielleicht sollten auch wir hier in Europa, in Deutschland den abgeschafften Händedruck ersetzen mit einem ehrlichen Blick in die Augen – und in das Herz. Und immer erst dann ins Gespräch kommen und uns auf den verschiedensten Ebenen und zu verschiedensten Themen begegnen, wenn wir wahrhaftig sagen können: „Ich sehe dich!“

Liebe Christian…danke für dem Impuls …bei dir habe immer das Gefühl ..dass ich gesehen werde und die Menschen gesehen werden
Lg Silvia
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